Die Arbeitsgemeinschaft Ausbildung für Notfallseelsorge in der EKHN und der EKHN-Notfallseelsorge-Beirat haben gemäß § 9 NfSVO in ihrer Sitzung am 15.03.24 folgendes verbindliches Curriculum für die Aus-, Fort- und Weiterbildung der Notfallseelsorger:innen im Bereich der EKHN verabschiedet:
1. Einleitung
1.1. Die Notfallseelsorge (NFS) ist integraler Bestandteil der psychosozialen Notfallversorgung und richtet sich an Überlebende, Zugehörige, Ersthelferinnen und Ersthelfer, Zeugen und/oder Vermissende. Notfallseelsorge geschieht unter besonderen Einsatzbedingungen und leistet psychosoziale Akuthilfe im Rahmen des Seelsorgeauftrages der Kirche, die sich von den Rahmenbedingungen sonstiger Seelsorge (Gemeinde, Seniorenheim, Klinik, Telefon) deutlich unterscheidet (u. a. bezüglich des Zeitpunkts, des Orts, der psychischen Verfassung der KlientInnen). Notfallseelsorger:innen arbeiten dabei mit Spezialist:innen aus anderen Systemen zusammen (Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst und anderen Hilfsorganisationen). Die angestrebte Kooperation und die Rahmenbedingungen der Arbeit erfordern eine eigene Qualifikation zum Dienst in der NFS. Diese ist Voraussetzung für die Beauftragung als Notfallseelsorger:in.
1.2. Häufig arbeiten in einem Notfallseelsorge-Team Haupt- und Ehrenamtliche zusammen. Eine NFS-Qualifikation muss deshalb die vorhandenen Unterschiede in Kompetenzen und Vorwissen der Notfallseelsorger:innen wahrnehmen und im Ausbildungsangebot differenziert aufnehmen.
1.3. Bei PfarrerInnen kann nach Studium, Vikariat und Berufsausübung grundsätzlich von seelsorglichen Kompetenzen und Qualifikationen ausgegangen werden. Bei Personen aus anderen Berufsgruppen, welche u. U. über andere für die NFS-Arbeit wichtige Kompetenzen und Fähigkeiten verfügen, können seelsorgliche Grundkenntnisse in der Regel nicht vorausgesetzt werden und müssen in der Grundqualifikation (Modul 1) vermittelt werden. Beide Gruppen benötigen gleichermaßen eine Einweisung in die speziellen Arbeitsbedingungen und Arbeitsansätze der Notfallseelsorge (Module 2 bis 4).
1.4. Ziel der Ausbildung ist die Vermittlung einer grundlegenden Orientierung in Bezug auf Seelsorge (Modul 1) allgemein sowie im spezifischen Handlungsfeld der Notfallseelsorge. Die unterschiedlichen Voraussetzungen und Qualitäten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden dabei wertgeschätzt. Ungeachtet der sich daraus ergebenden unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten in der Notfallseelsorge sollen diese thematisiert werden.
1.5. Grundlagen für den inhaltlichen wie zeitlichen Rahmen der NFS-Grundqualifikation bieten die „Mindeststandards in der Psychosozialen Akuthilfe (PSAH) vom 10.10.2021“.[1] Ebenso berücksichtigt sind „Kirchliche Ergänzungen zu den Mindeststandards Psychosoziale Akuthilfe (PSAH) von der Konferenz der Evangelischen Notfallseelsorge in der EKD und der Bundeskonferenz Katholische Notfallseelsorge vom 13.11.2023“, die sich aus seelsorglicher Perspektive und einer Berufsausübung als Theolog:in für die Arbeit im PSNV-Bereich ergeben. Alle oben genannten Texte finden sich in den Anlagen zu diesem Curriculum.
2. Kursangebot
Aus den vorgenannten Gründen gliedert sich die Ausbildung wie folgt:
Die Ausbildungsinhalte der Mindeststandards in der Psychosozialen Akuthilfe (PSAH) umfassen 120 UE. Sie werden in vier Modulen vermittelt.
2.1. Das erste Modul „Grundqualifikation Notfallseelsorge“ ist in der Regel für alle mitarbeitenden Notfallseelsorge-Helfer:innen obligatorisch, die über keine nachweisbare Qualifikation als seelsorger:in verfügen. Liegt eine seelsorgliche Ausbildung vor, kann diese als Äquivalent anerkannt werden. Der Umfang beträgt mindestens 48 UE à 45 Minuten; die zeitliche Gestaltung kann unterschiedlich erfolgen (Wochenend- oder Wochenkurse). Die Kurse werden vom ZSB koordiniert sowie dezentral organisiert und durchgeführt.
2.2. Die Module 2 bis 4 dienen der Vermittlung von Spezialkenntnissen aus dem Bereich der Notfallseelsorge. Zugleich werden Teamarbeit reflektiert und eingeübt, unterschiedliche Fähigkeiten, Kompetenzen und Begrenzungen wahrgenommen und in das eigene Arbeitskonzept integriert. Die Module müssen nicht zwingend in chronologischer Reihenfolge absolviert werden. Auch die zeitliche Gestaltung kann variieren (Wochenend-, Abend- oder Wochenkurse). Der Umfang beträgt mindestens 72 UE à 45 Minuten.
2.3. Die vorgenannte modulare Grundausbildung wird durch „Aufbaukurse Notfallseelsorge“ ergänzt. Sie sind für bereits in der Notfallseelsorge mitarbeitende Personen gedacht, vertiefen Schwerpunktthemen und bereiten auf die Übernahme besonderer Aufgaben im Handlungsfeld Notfallseelsorge vor. Der Umfang kann je nach Themenstellung variieren und ist abzugrenzen von Studientagsformaten oder sonstigen Fortbildungsangeboten.
2.4. NFS-Studientage, Supervisionen, Dienstbesprechungen sowie regionale Fortbildungsangebote der einzelnen NFS-Systeme (auch in Kooperation mehrerer Systeme) oder Fortbildungsangebote der Bistümer, kooperierender Hilfsorganisationen bzw. psychosozialer Dienstleister führen den Qualifikationsprozess für die Arbeit in der Notfallseelsorge fort – im Sinne eines „lebenslangen Lernens“, das von den aktiven Notfallseelsorge-Helfer:innen erwartet wird.
2.5. Ausbildungsangebote anderer Anbieter können bei Vergleichbarkeit in Bezug auf Ausrichtung, Inhalte, Methoden und Zeitumfang anerkannt bzw. angerechnet werden.
2.6. Aus- und Fortbildungen, die dem Bereich „Einsatznachsorge bzw. Prävention“ für Mitarbeiter:innen von Hilfsorganisationen zuzuordnen sind (z. B. SBE- bzw. CISM-Kurse A7 o. Ä.), sind kein genuiner Bestandteil der Notfallseelsorge-Tätigkeiten und fallen unter die Fürsorgepflichten der jeweiligen Hilfsorganisation. Kursangebote werden daher nicht im Rahmen dieses Curriculums aufgeführt und auch nicht über EKHN-Mittel finanziert. Ausnahme: Für leitende Mitarbeitende in der Notfallseelsorge der EKHN wird die Teilnahme an einer derartigen Grundqualifikation empfohlen. Eine zumindest teilweise Übernahme der Kurskosten durch die EKHN ist auf Antrag möglich.
3. Teilnehmer:innen und Kostenregelung
3.1. Teilnehmer:innen sind hauptamtliche Mitarbeiter:innen der ACK-Kirchen. Andere Personen sollten einer ACK-Kirche angehören.
An der Teilnahme interessierte Personen sollen vorab ein Kontaktgespräch mit der Leitung des jeweiligen Heimat-NFS-Systems führen. Gegenstand des Gesprächs sind die Motivation der Interessent:innen sowie die Erwartungen der jeweiligen NFS-System-Leitung an künftige NFS-Mitarbeiter:innen. Ein vorab zu beantwortender Fragebogen zur Motivation für die NFS-Mitarbeit, zu für die NFS relevanten Einstellungen sowie zu bereits vorhandenen Kenntnissen und Kompetenzen soll Grundlage für dieses Gespräch sein. Das Ergebnis ist in Form einer Stellungnahme der jeweiligen NFS-System-Leitung zur gewünschten Kursteilnahme festzuhalten und bei der Anmeldung zum Kurs vorzulegen.
3.2. Für hauptamtliche Mitarbeiter:innen der EKHN, die eine Empfehlung zur Teilnahme nach 3.1 vorlegen, gelten die Kursangebote als Schulung, die nicht auf den Anspruch auf Fortbildungsurlaub angerechnet wird. Die Teilnahmegebühren werden von der EKHN übernommen.
3.3. Für Mitglieder der EKHN aus anderen Berufen, die eine Empfehlung zur Teilnahme nach 3.1 vorlegen, werden die Teilnahmegebühren der NFS-Ausbildung (exkl. Fahrtkosten) von der EKHN übernommen.
3.4. Sonstige Teilnehmer:innen (z. B. aus anderen ACK-Kirchen) erhalten eine Rechnung über die Kursgebühr.
3.5. Aufbaukurse sind in der Regel nicht kostenfrei. In Einzelfällen und auf Antrag können anfallende Kosten anteilig durch die EKHN oder durch Notfallseelsorge-Systeme erstattet werden.
4. Ausbildungsinhalte
Die Ausbildung ist – wie die Tätigkeit in der NFS insgesamt – ein prozess- und haltungsorientiertes Lernen. Um trotz der unterschiedlichen Kompetenzen und Erfahrungen der Teilnehmer:innen einen einheitlichen Standard im Bereich der Grundqualifikation für NFS zu gewährleisten, beschreibt dies Anlage 1. Dabei können die Reihenfolge sowie eine inhaltliche Schwerpunktsetzung im Blick auf besondere Relevanz für die jeweilige Kursgruppe, für die Kursleitung oder aktuelle Bedarfe der NFS-Arbeit variiert werden.
5. Methoden
Die in der NFS-Qualifikation eingesetzten Methoden umfassen u. a. Anwendungsübungen, die Auseinandersetzung mit eigener Motivation sowie persönlichen Erfahrungen und Ängsten, Theorieeinheiten und Fallskizzen, die Erarbeitung sinnvoller Handlungsabläufe, ggf. Verbatims und Einsatzberichte, Ressourcenübungen, Exkursionen sowie spirituelle Impulse oder Andachten zu Beginn und/oder am Ende von Arbeitseinheiten, ebenso Gottesdienste. Neben der notwendigen Vermittlung von sachbezogenen Inhalten und Methoden geht es vor allem um die Entwicklung einer haltungsbasierten Kompetenz für die NFS-Arbeit, die ein angemessenes Verhalten in unterschiedlichsten Einsatzsituationen ermöglicht.
6. Abschluss / Dokumentation
Am Ende der Ausbildung steht eine Selbsteinschätzung der Teilnehmer:innen über Stärken und Schwächen sowie individuelle Konsequenzen für die weitere Mitarbeit in der NFS. Die Kursleitung spricht gegenüber den Teilnehmer:innen eine Empfehlung für das weitere Vorgehen aus, teilt diese Empfehlung der Leitung des jeweiligen Heimat-NFS-Systems mit und attestiert die Teilnahme am Kurs.
7. Hospitationen und Erste-Hilfe-Kurs
Zur modularen Ausbildung zählen auch eine Hospitation in einem Notfallseelsorge-System sowie die Teilnahme an einem Erste-Hilfe-Kurs.
7.1. Die Hospitation in der NFS beginnt in der Regel im Anschluss an Modul 1. Unter Hospitation wird die Teilnahme an und aktive Mitwirkung bei Notfallseelsorge-Einsätzen sowie die nachfolgende einsatzbezogene Reflexion mit Teamkolleg:innen und der NFS-Leitung verstanden.
7.2. Die Hospitation erfolgt in der Regel vor Ort in den einzelnen Notfallseelsorge-Systemen und soll die Teilnahme an mindestens drei bis fünf Notfallseelsorge-Einsätzen umfassen. Sie endet mit einem Gespräch der Hospitant:innen mit den Verantwortlichen des Systems über Eignung und Bereitschaft, auf der Basis einer Selbsteinschätzung der Hospitant:innen. Zur Orientierung in diesem Gespräch können folgende Punkte dienen:
7.3. In begründeten Einzelfällen kann die NFS-System-Leitung eine Hospitation in der NFS erlassen.
7.4. Hospitationen in der NFS können durch solche in anderen Hilfsorganisationen ergänzt werden. Sie beinhalten die Mitfahrt bei bzw. die beobachtende Begleitung von Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst etc. Unter Umständen ist hierzu eine Haftungsübernahmeerklärung durch das örtliche NFS-System bzw. die EKHN (vertreten durch das ZSB) erforderlich.
7.5. Die Teilnahme an einem Erste-Hilfe-Kurs ist durch eine Teilnahmebescheinigung (nicht älter als zwei Jahre) zu dokumentieren. Auf eine regelmäßige Wiederholung (alle drei Jahre) ist zu achten.
8. Ergänzende Aus- und Fortbildungsmaßnahmen
Für NFS-Aktive gehört Fortbildung zur selbstverständlichen und fachlich gebotenen Notwendigkeit (z. B. Teilnahme an Dienstbesprechungen des eigenen NFS-Systems, Teilnahme an Supervisionsangeboten, Lesen von Fachliteratur, Teilnahme an NFS-Aufbaukursen, Studientagen sowie regionalen und überregionalen Fortbildungsveranstaltungen). Auch die Teilnahme an Übungen von Hilfsorganisationen oder der Besuch von Angeboten externer Anbieter im PSNV-Bereich kann sinnvoll sein. Die Teilnahme soll dokumentiert werden. Auf Antrag ist eine Kostenerstattung durch die EKHN möglich.
9. Dauer der Ausbildung – Beauftragung
9.1. Die modulare Ausbildung (inkl. Hospitation) soll innerhalb von 24 Monaten absolviert werden. Hierzu erfolgt eine Beauftragung durch das Zentrum Seelsorge und Beratung.
9.2. Die Beauftragung zur Mitarbeit als Notfallseelsorger:in ist erst nach erfolgreichem Abschluss der modularen Ausbildung und auf Empfehlung der örtlichen NFS-System-Leitung möglich. Sie erfolgt gemäß der NFS-Ordnung der EKHN.
9.3. Vor der Hospitation muss ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorgelegt werden. Werden Fahrzeuge betrieben, ist die entsprechende Fahrerlaubnis vorzulegen. Sollte sich der Status der Fahrerlaubnis ändern, muss dies der NFS-System-Leitung angezeigt werden.
9.4. Vor der aktiven Mitarbeit in der Notfallseelsorge sind alle Mitarbeiter:innen über die Verpflichtungen zu Datenschutz und Schweigepflicht zu informieren und auf deren Einhaltung zu verpflichten.
10. Qualitätssichernde Maßnahmen
Voraussetzungen für verantwortliche NFS-Ausbilder:innen:
11. Inkrafttreten
Diese Ausbildungsordnung Notfallseelsorge tritt am 15.03.2024 in Kraft.
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[1] Neufassung der „Gemeinsamen Qualitätsstandards und Leitlinien zu Maßnahmen der psychosozialen Notfallversorgung für Überlebende, Angehörige, Hinterbliebene, Zeugen und/oder Vermissende im Bereich der psychosozialen Akuthilfe“, wie sie zwischen Hilfsorganisationen, der Konferenz Evangelische Notfallseelsorge in der EKD sowie der Konferenz der Diözesanbeauftragten für die Katholische Notfallseelsorge am 21.02.2013 vereinbart worden sind.