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Letzte Hoffnung

Kirchenasyl in Friedberg

Die "Deutschstunde" betreut die Flüchtlinge im Kirchenasyl: v.l. Said Sheikh, Anette Kirsch-Altena, Christine Bender, Petra Keinholz, Lili Grohmann, David Hesse

Die Evangelische Kirchengemeinde in Friedberg hat in der ersten Augustwoche zwei Flüchtlinge aus Eritrea und Äthiopien ins Kirchenasyl aufgenommen.

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Rafael (links, aus Eritrea) und Abdi (rechts, aus Äthiopien) leben im Gemeindehaus der Friedberger Kirchengemeinde. Auf dem Bild mit Pfarrerin Susanne Domnick. Im Gemeindehaus leben und schlafen die Flüchtlinge aus Afrika.
Rafael (links, aus Eritrea) und Abdi (rechts, aus Äthiopien) mit Pfarrerin Susanne Domnick

Es sei zunächst das Gebot der Nächstenliebe, das die Kirchenvorstände nach eingehender Diskussion zu dieser Entscheidung bewogen haben, so die Friedberger Pfarrerin Susanne Domnick. Beiden Flüchtlingen drohe die Abschiebung in ihr Ersteinreiseland innerhalb Europas. Humanitäre Gründe spielten dabei für die Behörden keine Rolle. „Als christliche Gemeinde wenden wir den Blick jedoch genau auf diese Gründe“, so Pfarrerin Susanne Domnick. 

Dazu zähle, ob der Flüchtling  in Deutschland bereits Angehörige habe, ob er verletzt oder/und traumatisiert sei, ob er im ersten Aufnahmeland Drohungen und Gewalt erfahren habe oder dort von Obdach- und Rechtlosigkeit bedroht sei. „Hier stellen wir das Gesetz Christi über die gültige Rechtslage und haben im Kirchenvorstand unsere grundsätzliche Bereitschaft erklärt, Kirchenasyl zu gewähren“, so die Friedberger Pfarrerin. „Das Elend in Afrika, aus dem die Menschen fliehen, können wir uns kaum vorstellen. Aber dass sie auf ihrer Flucht noch Misshandlung und Missachtung erfahren, das können wir ändern“, ergänzt Hans Wolf, stellvertretender Vorsitzender des Kirchenvorstandes.

Fremde sollen wie Einheimische leben können

„Wir setzen damit auch ein Zeichen gegen die Flüchtlingspolitik in der Europäischen Union“. so Volkhard Guth, der als Dekan des Evangelischen Dekanats Wetterau der Kirchengemeinde seine uneingeschränkte Unterstützung in Fragen des Kirchenasyls zugesagt hat. Denn Friedberg ist nicht die einzige evangelische Kirchengemeinde, die sich zu diesem Schritt entschlossen habe. 

In der Bibel fänden sich zum Umgang mit Fremden klare Worte: „Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken. Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst, denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen.“ (aus dem 3. Buch Mose, Kap. 19, Vers 33)

Militärdienst statt Schule im Heimatland 

Die beiden jungen Afrikaner in Friedberg kommen aus Ländern, in denen Gewalt und Rechtlosigkeit an der Tagesordnung sind. Tesfay Mulubrhan, genannt Rafael, ist orthodoxer Christ aus Eritrea. Ein Land, das sich von der Welt abschottet und regelmäßig als das mit der geringsten Pressefreiheit weltweit eingestuft wird. Schüler können dort oft keinen Schulabschluss machen, sondern müssen unbegrenzten und unbezahlten Militärdienst leisten. Die einzige Universität des Landes ist seit Jahren geschlossen. Rafael wurde bei einem Bombenangriff verletzt, er hat Granatsplitter im Beckenbereich und kann ein Bein nur eingeschränkt bewegen.

Abenteuerliche Flucht

Zusammen mit seiner Freundin floh er über das Mittelmeer, als Bootsflüchtlinge landeten sie in Lampedusa. In Italien wurde er aufgegriffen, die Freundin blieb unbehelligt. Deshalb hat sie inzwischen einen Aufenthaltsstatus in Deutschland, während Rafael die Abschiebung nach Italien droht. Eine ärztliche Erklärung zur Reiseunfähigkeit vom 16. Juni 2014 liegt vor, blieb aber ohne Folgen. Seit 21 Monaten lebt das Paar in Deutschland. Beide haben schon etwas Deutsch gelernt und möchten heiraten – wegen des fehlenden Passes war dies bislang nicht möglich. Die bestehende Partnerschaft und die deutliche Kriegsverletzung rechtfertigen in den Augen des Kirchenvorstands die Aufnahme ins Kirchenasyl.

Ohne Mutter in die Fremde

Abdikafar Abdulahi Mohamud, genannt Abdi, kommt aus dem östlichen Teil von Äthiopien, in dem Tausende Somali ohne Staatsangehörigkeit leben. Er ist Muslim. Offiziell wird sein Alter mit 19 angegeben, doch inzwischen deuten alle Informationen darauf hin, dass er im September erst 17 wird, also noch minderjährig ist. Er war gerade 15, als die Mutter - sein Vater wurde 2008 erschossen - ihn auf die Flucht schickte. Über Istanbul und die Ukraine kam er in die Slowakei, wo er drei Wochen in Haft saß, die physischen und psychischen Folgen sind bis heute sichtbar. Mehrfach wurde ihm angedroht, ihn zurück nach Somalia zurückzuschicken. Ein ärztliches Gutachten bescheinigt ihm eine posttraumatische Belastung mit Depression und Todesangst. Im Juli 2013 kam Abdi nach Deutschland. Die Befragung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 25.9.2013 prüfte weder das von der Slowakei angegebene Alter noch die sichtbaren Folgen der Haft. Im März 2014 wurde sein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes endgültig abgelehnt. Seine Jugend, die Traumatisierung durch die Flucht und die Gefahr der Abschiebung nach Somalia durch die slowakischen Behörden sind für die Kirchengemeinde gute Gründe für die Gewährung von Kirchenasyl.

Vom Kirchenasyl bis zum Schutzstatus 

Mit dem Kirchenasyl soll die Zeit bis Ende September überbrückt werden. Denn dann enden die Fristen, mit deren Ablauf die Behörden verpflichtet sind, einen Antrag auf Asyl in Deutschland zu prüfen. Sobald die Flüchtlinge einen Schutzstatus in Deutschland haben, ist eine Abschiebung nach Somalia ebenso ausgeschlossen wie die Rücküberführung nach Italien oder in die Slowakei. Minderjährige auf der Flucht genießen besonderen Schutz. Dies könnte für Abdi gelten, deshalb ist eine Überprüfung seiner Altersangaben so wichtig.

Schutz in einfacher Unterkunft 

Es ist keine Luxusherberge, die die Kirchengemeinde den beiden jungen Männern anbieten kann. Kein Fenster, das den Blick nach draußen gestattet. Kein Garten, in dem sie sich die Beine vertreten könnten. Zwei einfache Matratzen auf dem Fußboden des Gemeinderaumes. Ein Tisch, Stühle, genutzt auch von den Gruppen der Gemeinde. Ein Fernseher, in dem den ganzen Tag das ein Deutschlernprogramm auf DVD läuft. Gut, dass Rafaels Freundin täglich den Weg von der Flüchtlingsunterkunft in zur Stadtkirche macht, Essen vorbeibringt und sich um die Wäsche kümmert.

Ehrenamtliche Unterstützung für die Flüchtlinge 

Doch es gibt auch die „Deutschstunde“. So nennt sich die Gruppe der Unterstützer, acht Menschen von 17 bis 70,  die sich spontan bereit gefunden hat, die jungen Männer täglich zu besuchen. Sie sprechen Deutsch mit ihnen, spielen Mensch ärgere dich nicht, bringen Essen mit oder englischsprachige Bücher – kurz: sie tun alles „damit die jungen Leute nicht kirre werden“. Und Spaß haben sie auch miteinander, denn der Hunger nach Wissen ist bei Rafael und Abdi groß. Beide sprechen ein wenig Deutsch und möchten dazulernen. „Die sind wie ein Schwamm“, sagt Petra Keinholz lächelnd. Deutschlehrerin ist sie nicht, doch sie hilft so gut sie kann.

Eingewanderte bieten Hilfe an

Auch Said Sheik gehört zur „Deutschstunde“. Er erinnert sich noch gut, wie es war, als Fremder in Deutschland zu sein: 1963 ist er selbst aus Pakistan eingewandert. Unentbehrlich ist die Hilfe von Habte Ghedei. Der Flughafenmitarbeiter hat seit Jahrzehnten einen deutschen Pass, doch als gebürtiger Äthiopier spricht er Tigrinya und Amharisch, hilft und übersetzt, wo die Deutsch- und Englischkenntnisse der Flüchtlinge nicht ausreichen.
Die finanzielle Unterstützung ist bis Ende August gesichert, danach werden Spenden nötig.

Wer die Gruppe der Helfer unterstützen möchte, kann sich an Pfarrerin Domnick wenden:

Pfrin. Susanne Domnick
Tel. 06031 5620
E- Mail: susanne.domnick@ekhn-net.de

Hintergrund Kirchenasyl

Kirchenasyl ist die zeitlich befristete Aufnahme von Schutzsuchenden, deren Abschiebung oder Überstellung in ein anderes Land voraussichtlich eine Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit der Betroffenen oder eine Verletzung ihrer Menschenwürde und Menschenrechte darstellen würde. Während des Kirchenasyls werden alle in Betracht zu ziehenden rechtlichen, sozialen und humanitären Gesichtspunkte geprüft. Dabei gelingt es in vielen Fällen, dass Behörden ihre Entscheidungen erneut überprüfen und nicht selten auch revidieren.
Seit 2003 gilt in allen Mitgliedstaaten der EU die Dublin-Verordnung, nach der Flüchtlinge in das Land abgeschoben werden, in dem sie erstmals in Europa aufgegriffen wurden. Wenn Flüchtlinge also nach Deutschland kommen, hier einen Antrag auf Asyl stellen, aber schon vorher z.B. in Italien registriert wurden, wird dieser Antrag ohne inhaltliche Prüfung abgelehnt. Sind aber sechs Monate seit Ablehnung des Antrages vergangen und der Flüchtling befindet sich noch in Deutschland, kann der Antrag wiederholt werden und wird nun inhaltlich geprüft. Das ist die Situation für die meisten, die um Kirchenasyl bitten: die Überbrückung einiger Wochen oder Monate bis Deutschland für die Prüfung des Asylantrages zuständig wird.

Kirchenasyl ist der letzter Versuch (ultima ratio) einer Gemeinde, Flüchtlingen durch einen zeitlich befristeten symbolischen Schutzraum beizustehen, um ihnen zu ermöglichen, dass ihr Schutzbegehren in Deutschland sorgfältig geprüft wird. 

Kirchengemeinden beanspruchen keinen rechtsfreien Raum, der Staat kann von seinem Zugriffsrecht Gebrauch machen. Aus Respekt vor dem kirchlichen Engagement wird darauf aber in der Regel verzichtet.

Handreichung zum Kirchenasyl (PDF)

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