Notfallseelsorge

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Die Notfallseelsorge wendet sich an alle Menschen und deren Angehörige in Krankheitssituationen, unabhängig von ihrer Lebens- & Glaubensorientierung. Außerdem begleitet sie auch das Klinikpersonal in Krisensituationen durch Gespräche oder rituelle Handlungen. Sie bewegt sich in einem interkulturellen und multireligiösen Raum, unterliegt der Schweigepflicht und ist nicht den Kliniken zur Auskunft verpflichtet! In den Kliniken gibt es in der Regel eine ökumenische Kooperation, vor allem mit der katholischen Kirche.

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Buß- und Bettag in Mainz

Mainzer Rabbiner im Interview über Luthers Verhältnis zu Juden

istockphoto, tovflaJüdische Brüder entzünden die MenorahDie jüdische Gemeinde in Mainz engagiert sich in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Werden sie in Zukunft in einem weltoffnen und toleranten Deutschland leben können? (Symbolbild)

Martin Luthers Bibelübersetzung und sein Protest gegen die katholische Kirche, Geld für die Vergebung von Sünden einzutreiben – das alles gehört zu seinen großen Leistungen. Doch der Reformator hatte auch dunkle Seiten. „Luther hat zur offenen Verfolgung der Juden aufgerufen“, erklärt der Rabbiner von Mainz im Interview. Die evangelische Kirche in Rheinhessen beleuchtet Luthers Verhältnis zu den Juden während des Buß- und Bettagsgottesdienstes in Mainz.

Die Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Mainz feiern heute wieder ihren Glauben in Gottesdiensten, an jüdischen Feiertagen und bei privaten religiösen Feierlichkeiten; über einen Kulturclub besuchen sie gemeinsam Konzerte oder treffen sich zu Ausflügen. In der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt leben gegenwärtig rund 800 Juden, insgesamt gehören der jüdischen Gemeinde allerdings rund tausend Mitglieder an, denn auch Worms und Bingen zählen zum Einzugsgebiet. Seit Februar 2015 wird die Gemeinde von einem neuen Rabbiner betreut: Aharon Ran Vernikovsky. Er ist einer der Teilnehmenden der Talkrunde im Anschluss an den evangelischen Buß- und Bettagsgottesdienst zum Thema „Luther und die Juden“ in der Christuskirche Mainz am Mittwoch, 18. November 2015, ab 19 Uhr. Im Vorfeld hat die Multimedia-Redaktion der EKHN mit Rabbi Vernikovsky gesprochen.

Interview mit Aharon Ran Vernikovsky

Wie erleben Sie die Mainzer?

Rabbi Vernikovsky: Ich fühle mich hier insgesamt ganz gut, die Stadt sagt mir sehr zu - auch die Menschen, die hier leben. Mainz ist einerseits eine Landeshauptstadt, sie hat aber auch etwas Kompaktes und Übersichtliches, man verliert sich nicht. Was allerdings den Karneval betrifft: Da sind die Mainzer noch meschuggener als die Düsseldorfer, sie sind wirklich leidenschaftlich bei der Sache. Was in Mainz besonders gut gelingt, ist der Dialog zwischen den Religionen und Kulturen. Ich bemerke, dass es seitens der Öffentlichkeit und der Religionsgemeinschaften ein großes Interesse gibt, die jüdische Religion kennen zu lernen und über  Juden etwas zu erfahren. Deshalb laden wir in das Synagogen-Zentrum am 24. November zu einer Podiumsdiskussion zum Thema „Wer ist Gott in meiner Religion?“ ein. Beteiligt sind auch evangelische und katholische Christen, sogar der Mainzer Oberbürgermeister wird kommen.

Was möchten Sie den Menschen als  Rabbi mitgeben?

Rabbi Vernikovsky: Ein Rabbiner muss feststellen, wo die problematischen Zonen in einer Gemeinde sind und wo Potential für zukünftige Projekte steckt, die das jüdische Leben stärken. Hier in Mainz haben wir besonders die Förderung der Kinder- und Jugendarbeit im Blick, wir haben bereits ein jüdisches Jugendzentrum errichtet und den jüdischen Religions-Unterricht ausgebaut. Für einen Rabbi ist auch die Seelsorge eine wichtige Aufgabe, dafür sollte er möglichst gut erreichbar sein. Mir ist deshalb die persönliche Nähe zu den Menschen besonders wichtig; ich freue mich darüber, wie sich das Vertrauensverhältnis zwischen der Gemeinde und mir sich immer weiter entwickelt. Außerdem gehören Bildungs- und Lehraufgaben dazu. Für mich ist es auch wichtig, die jüdische Identität zu stärken, denn unsere Mitglieder sind häufig nach Deutschland immigriert und kommen aus Ländern, in denen Religion keinen guten Stand hatte. Eine der großen Herausforderungen ist also die  geistige Integrationsarbeit.

Was bedeutet für Sie Martin Luther?

Rabbi Vernikovsky: Wenn ich den Namen höre, assoziiere ich den Namen nicht sofort mit Judenfeindlichkeit, sondern mit historischen Ereignissen, die sich aus der Reformation ergeben haben. Er hat Großes bewirkt, indem seine Gedanken auch zum Humanismus und zur Aufklärung geführt haben. Aber jetzt bin ich zu einer Veranstaltung eingeladen, bei der es um dieses Thema geht, was auch richtig ist. Wenn die evangelische Kirche 500 Jahre Luther feiert, finde ich gut, dass sie Luthers Haltung zu den Juden als Thema in den  Mittelpunkt des Geschehens stellt und nicht der Meinung ist: Warum sollten wir uns mit diesem schwierigen Thema die Feier verderben? Ich befürworte, dass durch eine solche Diskussion auch ein differenziertes Lutherbild gefördert wird. Luther ist eine zwiespältige Figur.

Micha Brumlik schreibt in seinem Artikel zum Reformationstag in der „Jüdischen Allgemeinen“, dass Juden zum „kritischen Erinnern“ beitragen sollen. Was heißt das für Sie konkret?

Rabbi Vernikovsky: Die Formulierung des `kritischen Erinnerns´ gefällt mir gut. Zum einen gibt es das Gute, das aus Luthers Gedanken hervorgegangen ist. Aber als jüdischer Mensch sehe ich auch eine Verbindung zum Nationalsozialismus. Denn die Nazis haben Luther benutzt und zitiert, auch damit haben sie ihren unsäglichen Feldzug gegen das Judentum begründet. Wenn man so will, war Luther ein geistiger Glaubenskrieger, zeitweise hat er auch zur offenen Verfolgung der Juden aufgerufen. In diesem Kontext gibt es keine andere Möglichkeit als die der kritischen Erinnerung.

Luther war offensichtlich der Meinung, dass er mit seiner Glaubensgewissheit absolut Recht hatte, für ihn war es offensichtlich die einzig gültige Wahrheit. Was sind für Sie hingegen die Bedingungen, damit ein Dialog zwischen den Religionen gelingt?

Rabbi Vernikovsky: Luther wollte missionieren, aber das Judentum hat sich in seiner Geschichte ständig der Mission widersetzt. Für uns ist es wichtig, dass Missionsversuche unterlassen werden. Gute Voraussetzungen sind hingegen gegenseitiger Respekt und Toleranz. Wir wollen kommunizieren und nicht missionieren. Das heißt, den Anderen in seinem Anderssein respektieren zu lernen. Dazu ist es wichtig zu erfahren, wie  der andere denkt, wir brauchen dafür Informationen, dazu muss der andere seine Theologie erklären können.

Aus Syrien kommen gerade viele Flüchtlinge nach Deutschland. Welchen Blick haben Sie auf diese Situation?

Die Situation der Flüchtlinge berührt mich als Mensch, weil es hier um Menschen geht. Es geht nicht um eine bestimmte Anzahl, die eine gesichtslose Masse symbolisiert. Er geht hier nicht um Waren, sondern es sind Menschen, mit denen man sprechen sollte. Den Menschen in Not sollten wir helfen, wo wir können. Im beruflichen Alltag sind mir bis jetzt zwar unmittelbar noch keine Flüchtlinge begegnet, aber als Gemeinde engagieren wir uns. Am 15. November rufen wir zu Spenden für die Flüchtlinge auf, es können auch Kleider und Spielzeug gespendet werden. Gegenwärtig wird in Deutschland zu sehr die Diskussion darüber geführt, wie gefährlich diese Menschen für uns sind. Wir sollten darauf achten, eine realistische Balance in der Diskussion zu finden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Rita Deschner

Hintergrund: Dialog auf Augenhöhe statt Ressentiments

Luther zeigte keine Bereitschaft für einen Dialog auf Augenhöhe

Anfangs hatte Luther die jüdische Bevölkerung noch umworben, denn er wollte, dass sie durch Taufe zum Christentum übertreten. Doch bereits in den früheren Jahren war Luther nicht bereit, sich mit dem zeitgenössischen Judentum zu beschäftigen oder mit jüdischen Theologen zu diskutieren. Andere Reformatoren wie Andreas Osiander, Wolfgang Capito und Konrad Pellikan hatten sich hingegen auf einen Diskurs eingelassen, darüber informiert Heinz Schilling in seinem Buch „Martin Luther – Rebell in einer Zeit des Umbruchs“. Doch Missionserfolge bei der jüdischen Bevölkerung blieben aus. Luther konnte nicht akzeptieren und respektieren, dass sich die jüdische Bevölkerung dagegen entschied, Jesus als den Messias anzuerkennen. Luther sah schließlich seine Aufgabe darin, „sie als Widersacher Gottes bedingungslos zu bekämpfen“, schreibt Schilling. *

Luthers Judenfeindschaft  und der Antisemitismus der Nationalsozialisten

Luthers Unmut steigerte sich. Thomas Kaufmann beschreibt in seinem Buch „Martin Luther“ die Entwicklung: „Zuletzt sah er in der Austreibung der Juden aus protestantischen Städten und Territorien seine heilige Pflicht.“ Luthers Haltung war zwar von theologischen und nicht von rassistischen Motiven bestimmt, er sprach ihnen also nicht das Menschsein ab. Hätte sich also ein Jude zum christlichen Glauben bekehrt, hätte Luther ihn als „Bruder“ gesehen. Allerdings stellte die Propaganda der Nationalsozialisten ab 1936 Luther gezielt als Wegbereiter der Judenverfolgung dar, seine judenfeindlichen Schriften wurden neu aufgelegt. Damit leisteten Luthers vernichtende Worte der Judenfeindschaft Vorschub. Nachdem am 9. November 1938 die Synagogen brannten und zehntausende Juden in Konzentrationslager deportiert wurden, protestierte keine evangelische Kirchenleitung, nur einzelne Pfarrer bezogen in ihren Predigten dagegen Stellung. Die Shoa hat bis 1945 rund sechs Millionen Juden das Leben gekostet.

EKHN gesteht Schuld ein

Die EKHN hat sich mit den historischen und theologischen Dimension der christlich begründeten Judenfeindschaft auseinandergesetzt und ihre Abkehr davon 1991 in der Erweiterung ihres Grundartikels zum Ausdruck gebracht: „Aus Blindheit und Schuld zur Umkehr gerufen bezeugt sie (die EKHN) neu die bleibende Erwählung der Juden und Gottes Bund mit ihnen. Das Bekenntnis zu Jesus Christus schließt dieses Zeugnis ein.“  Im November 2015 hat sich die Synode dann von den späten „Judenschriften“ Luthers distanziert.

Lebendige jüdische Gemeinde in Mainz pflegt ihre Traditionen und lädt zum Dialog ein

Heute gibt es wieder eine lebendige jüdische Gemeinde in Mainz. Sie versteht sich als Einheitsgemeinde mit orthodoxer Tendenz. „Wir setzen uns dafür ein, dass unsere Angebote für säkular ausgerichtete Mitglieder, aber auch für traditionell ausgerichtete Juden interessant sind“, erklärt der Rabbi. Da viele Gemeindemitglieder sich nicht eindeutig religiös positioniert haben, werden orthodoxe Bräuche eher vorsichtig eingeführt. Eine gewisse Struktur werde jedoch gelebt. Rabbi Vernikovsky erklärt: „ Wir achten darauf, die Speisevorschriften einzuhalten werden und auch der Gottesdienst folgt dem orthodoxen Ritus.“
Besonders liegt ihm der interreligiöse Dialog am Herzen. Zuvor hat er als Rabbi bereits in Düsseldorf und Wuppertal mit einem „Runden Tisch der Religionen“ gute Erfahrungen gemacht. Deshalb lädt er Interessierte zum „Ersten Runden Tisch der drei Religionen“ am 24. November um 20 Uhr in die Neue Synagoge Mainz ein. Auch die evangelische und katholische Kirche und ein muslimischer Theologe  sind beteiligt, zudem wird der Oberbürgermeister der Stadt Mainz, Michael Ebling, die Auftaktveranstaltung eröffnen.

Literatur:

Thomas Kaufmann: Martin Luther. 2010 München

Heinz Schilling: Martin Luther - Rebell in einer Zeit des Umbruchs. 2013 München


*Auf direkte Luther-Zitate wird in diesem Text verzichtet, da es der Verfasserin widerstrebt, diese unerträglichen Worte in die Tastatur einzugeben.

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