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Evangelische Kirche in Hessen und Nassau

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Kirche fordert zum Verzicht auf

Spekulationen mit Nahrungsmitteln sind nicht zu rechtfertigen

C. Nusch/transfairReisbauer

Finanzchef und Wirtschaftsexpertin der EKHN kritisieren Deutsche Bank und Allianz.

Darmstadt, 21. März 2013. Finanzspekulationen mit Agrarprodukten sind aus Sicht der Evangelischen Kirche ethisch nicht zu rechtfertigen. Diese Ansicht vertreten Finanz- und Wirtschaftsfachleute der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). Ihre Argumente fassen Heinz Thomas Striegler, Finanzchef sowie Leiter der Kirchenverwaltung, und Dr. Brigitte Bertelmann, Referentin für Wirtschafts-, Sozial- und Familienpolitik im Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN, in einem Positionspapier zusammen. Es trägt den Titel „Der Wiedereinstieg von Deutscher Bank und Allianz in Spekulationen mit Nahrungsmitteln ist ein Rückschritt“  Darin stellen Bertelmann und Striegler fest, dass die Preise von Agrarprodukten immer stärker durch die Finanzmärkte bestimmt würden. Das hätten sogar Experten von Deutscher Bank und Allianz festgestellt. Diese erwarteten gravierende Auswirkungen für Landwirte und Verbraucher. Die klassischen Warentermingeschäfte seien seit dem Jahr 2000 spekulativ gigantisch aufgebläht worden. In diesem Sinne sei der Wiedereinstieg von Deutscher Bank und Allianz in solche Spekulation ein Rückschritt. Das Positionspapier wird im Folgenden im Wortlaut dokumentiert.

Wiedereinstieg von Deutscher Bank und Allianz in Spekulationen mit Nahrungsmitteln ist ein Rückschritt

„Im Interesse ihrer Kunden“ sind Deutsche Bank und Allianz Ende 2012 wieder in das Geschäft mit Anlageprodukten auf der Basis von Nahrungsmitteln eingestiegen. Knapp zwei Jahre lang war nach heftigen öffentlichen Protesten diese Form der Nahrungsmittelspekulation ausgesetzt worden. Ihren Wiedereinstieg begründeten die Bankhäuser mit der Behauptung, es sei wissenschaftlich erwiesen, dass Agrarspekulationen nicht für die massiven Preissteigerungen und starken Preisschwankungen der letzten Jahre auf den Agrarmärkten verantwortlich seien.  Vielmehr seien diese auf andere Faktoren wie steigende Nachfrage insbesondere aus den Schwellenländern, sowie Angebotsschwankungen durch wetterbedingte Ernteausfälle oder aufgrund von politischen Faktoren wie Krieg, Bürgerkrieg oder Korruption zurückzuführen. Schließlich wird auch die subventionierte Verwendung von Nahrungs- oder Futterpflanzen zur Energiegewinnung als Grund für steigende Nahrungsmittelpreise genannt. Dies macht es nötig, die vorübergehend etwas abgeflaute Debatte über die Auswirkung von Agrarspekulation auf die Nahrungsmittelpreise neu zu führen.

Nicht Warentermingeschäfte sind das Problem, sondern ihre spekulative Aufblähung

Die Preise von Agrarprodukten unterliegen einer Vielzahl von natürlichen und politischen Faktoren. Daraus entstanden schon immer mehr oder weniger starke Schwankungen. Produzenten und Kunden haben aber ein berechtigtes Interesse an Kalkulationssicherheit durch berechenbare Preise. Marktteilnehmer, die den Produzenten ihre Ernte schon vorher zu einem festen Preis abkaufen oder die den Kunden (z.B. Mühlen oder anderen weiter verarbeitenden Betrieben) diese Rohprodukte zu einem festen Termin und zu einem festen Preis verkaufen, übernehmen immer das Risiko unvorhersehbarer Preisschwankungen. Diese traditionelle Spekulation in Form von Warentermingeschäften entspricht  durchaus auch den Bedürfnissen von Produzenten und Verarbeitern.

Seit dem Jahr 2000 haben sich aber die Finanzmärkte weit über solche Sicherungsgeschäfte im Interesse der direkt beteiligten Produzenten bzw. Verarbeiter hinaus weiterentwickelt. „Lediglich zwei Prozent aller Terminkontrakte ziehen heutzutage eine tatsächliche Lieferung nach sich“, heißt es in einer von dem Börsenexperten Dirk Müller im Auftrag von Misereor erstellten Analyse.

Das bedeutet: Bei den meisten Termingeschäften geht es nicht mehr um die Absicherung realer Warengeschäfte sondern um rein spekulative Finanzanlagen. Durch die schrittweise Deregulierung in den letzten Jahren ist das Anlagevolumen in Rohstofffonds (die einen Anteil von ca. 25 % an Agrarrohstoffen enthalten) und Rohstoffderivaten enorm gestiegen. So hat sich z.B. das Verhältnis von US-Weizenfutures zur physischen US-Weizenproduktion innerhalb weniger Jahre völlig verändert: Im Jahre 2002 machte das Volumen von Futures noch das 11-fache der realen US-Weizenproduktion aus,  2007 war es bereits das 30-fache. 

Finanzmärkte tragen nicht zur Stabilisierung der Rohstoffmärkte bei

Die globalisierten Finanzmärkte werden hochgradig vom Herdentrieb bestimmt: Käufe von großen Investoren ziehen weitere Käufe anderer Investoren nach sich. Jeder orientiert sich am beobachteten oder erwarteten Verhalten der anderen. Das trägt  zu einer Verstärkung von Trends bei, die nach Ansicht zahlreicher Experten durch den automatisierten Computerhandel (Hochfrequenzhandel) noch weiter verstärkt werden. 

Die meisten Rohstoffinvestments werden durch Kredite finanziert, bei denen die Anleger nur eine relativ geringe Sicherheitsleistung (Margin), i.d.R. zwischen fünf und zehn Prozent des Gesamtwertes der Investition, hinterlegen müssen. Fallen die Preise, so trägt dies ebenfalls zu einer erheblichen Verstärkung des Trends bei. Ein Beispiel: Im Jahre 2008 hatte sich innerhalb eines knappen Jahres  der Preis für Mais durch Spekulation etwa verdoppelt. Dann brachen Lehman Brothers zusammen, und die weltweiten Finanzmärkte gerieten in eine tiefe Krise. Die Kurse stürzten ab, und in vielen Fällen waren die Sicherheitsleistungen der Anleger schnell verbraucht. Sie mussten, um ihren Verpflichtungen nachzukommen, ihre Maispositionen verkaufen. Dies führte zu einem weiteren Preisverfall, sogar bis unter das ursprüngliche Preisniveau. Dabei konnte sowohl der vorhergehende extreme Preisanstieg, vielleicht teilweise mit erwarteten Nachfragesteigerungen begründet werden, der extreme Preisverfall hatte dann aber mit der realen Entwicklung von Angebot und Nachfrage gar nichts mehr zu tun.

Bisherige Kontrolle der Rohstoff-Spekulationen der Finanzmärkte reichen bei weitem nicht aus

Die Preise von Agrarprodukten werden immer stärker durch die Finanzmärkte bestimmt. Das haben inzwischen sowohl die USA, als auch die EU und die G-20 erkannt. Schritte zur Einführung oder Verstärkung von Positionslimits, Preiskontrollen, mehr Transparenz und Informations- bzw. Berichtspflichten auf diesem immer komplexer werdenden Markt, gehen in die richtige Richtung. Sie reichen aber bei weitem nicht aus, um die negative  Entwicklung der letzten zehn Jahre wirksam zu stoppen. Bei steigenden Preisen werden immer mehr Finanzinvestoren in den Markt mit Agrarrohstoffen einsteigen, um "von der Knappheit zu profitieren". Diese entsteht aber  teilweise gerade erst dadurch, zumindest aber wird sie verstärkt. Spekulation, die tendenziell eher dazu beiträgt, dass Preisentwicklungen verstärkt werden, kann daher kaum einen Beitrag zur Stabilisierung von Rohstoffmärkten leisten.  Diese Erkenntnis wird sogar von Instituten bestätigt, die grundsätzlich die Spekulation auch auf Nahrungsmittelmärkten unterstützen. In einem Arbeitspapier des Weltbankforschers John Baffes und des damaligen Leiters der Analyseabteilung der Generaldirektion Landwirtschaft bei der EU-Kommission Tassos Haniotis aus dem Jahr 2010, heißt es: „Wir nehmen an, dass Indexfondsaktivität (…) eine Schlüsselrolle bei der Preisspitze von 2008 gespielt hat. Biosprit spielte auch eine gewisse Rolle, aber viel weniger, als ursprünglich gedacht. Und wir finden keinen Beleg, dass die angeblich gestiegene Nachfrage aus Schwellenländern irgendeinen Effekt auf die Weltmarktpreise hatte.“

Sogar Experten von Deutsche Bank- und Allianz erwarten gravierende Auswirkungen für Landwirte und Verbraucher

Finanzspekulation hat die Preisausschläge auf den Nahrungsmittelmärkten zwischen 2008 und 2011 nicht verursacht, aber verstärkt. Für Landwirte und Verbraucher wird das gravierende Folgen haben. Das haben  Experten von DB Research und Allianz Research in mehreren Untersuchungen festgestellt. Die Deutsche Bank hatte auch aufgrund der öffentlichen Kritik an Nahrungsmittelspekulationen durch NGOs wie Oxfam oder Foodwatch sowie von kirchlichen Gruppen eine eingehende Untersuchung der Wirkungszusammenhänge von Finanzspekulation und der Preisentwicklung auf den realen Märkten angekündigt und diese Geschäfte vorübergehend ausgesetzt. Beim Wiedereinstieg in diesen Markt wurde ein solcher Zusammenhang überraschender Weise geleugnet. Methode und die Ergebnisse der Studie, auf die sich die Deutsche Bank und die Allianz bei ihrem Wiedereinstieg stützen, sind unter Experten nach wie vor sehr umstritten.

Das Recht, sich ausreichend ernähren zu können, ist ein elementares Menschenrecht

Selbst wenn Finanzspekulation mit Agrarprodukten nur einen von mehreren Faktoren für extreme Preissteigerungen oder starke Preisschwankungen darstellt, reicht dies aus, um aus ethischen Gründen davon Abstand zu nehmen. Zurecht betrachten viele Menschen Finanzgeschäfte als äußerst fragwürdig, die von Preissteigerungen oder Preisschwankungen von Nahrungsmitteln profitieren. Denn diese Geschäfte tragen dazu bei, dass für Millionen Menschen die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln nicht mehr erschwinglich ist oder bringen kleine Produzenten in existenzielle Schwierigkeiten. Das Recht, sich ausreichend ernähren zu können, ist ein elementares Menschenrecht. Es darf nicht durch exzessive Finanzspekulation gefährdet werden. Nach dem derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Diskussion ist der Verdacht auf mögliche schädigende und fatale Folgen der Nahrungsmittelspekulation nicht ausgeräumt.

Der Wiedereinstieg von Deutscher Bank und Allianz ist ein Rückschritt

Die EKHN und andere evangelische Kirchen in Deutschland haben in ihren Kriterien für ethisches Investment spekulative Investitionen in Rohstoffe aus guten Gründen ausgeschlossen und fordern auch Banken, Fonds und andere Investmentinstitute dazu auf.  Solche Geschäfte sind für die Kirchen nur schwer vereinbar mit den Reformen und dem kulturellen Wandel auf den Finanzmärkten, der nach dem Ausbruch der Finanzkrise von vielen Seiten lautstark angekündigt und von vielen erhofft wurde. Der Wiedereinstieg von Deutscher Bank und Allianz ist hier ein Rückschritt.

Nachhaltige Investitionen in den Agrarsektor statt Spekulation

Auch die Behauptung, dass die steigende Nahrungsmittelspekulation zu einer Verbesserung der Nahrungsmittelversorgung für die wachsende Weltbevölkerung führen würde, oder gar eine Voraussetzung dafür sei, ist zu hinterfragen. Ohne Zweifel sind Investitionen in den Ausbau des Agrarsektors zur Erweiterung und Absicherung der Lebensmittelversorgung für die wachsende Weltbevölkerung notwendig und wünschenswert. Die UN  stellte eine gravierende Fehlentwicklung aufgrund von unterlassenen Investitionen im Agrarbereich fest. Die FAO geht von einem jährlichen Investitionsbedarf in den Agrarsektor von Entwicklungs- und Schwellenländern in Höhe von 30 Mrd. Euro pro Jahr zur Sicherung der Nahrungsversorgung aus.

Global Players sollen sich der Verantwortung für die unterentwickelten Länder stellen

Nachhaltige Nahrungsmittelversorgung wird aber nicht durch kurzfristige Gewinn-Spekulation gewährleistet. Nötig sind stattdessen langfristige Direktinvestitionen, die sich an den Produktionsbedingungen und Bedürfnissen in den unterentwickelten Ländern und nicht an den Exportchancen von „cash-crops“ orientieren. Dabei müssen die klimatischen und sonstigen natürlichen Bedingungen, die bestehenden Ernährungsgewohnheiten sowie die Möglichkeiten der züchterischen Weiterentwicklung vorhandener Kulturpflanzen einbezogen werden. Experten gehen davon aus, dass durch eine Förderung und Weiterentwicklung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft auf der Basis moderner durchaus bekannter Technologie und ohne die Rodung weiterer Waldflächen, z.B. in Afrika,  eine Verfünffachung der Produktivität in der Nahrungsmittelproduktion möglich wäre. Investitionen müssen auf der Basis der Menschrechte erfolgen und die Verbraucher und Produzenten vor Ort mit einbeziehen. Rollen und Interessen zwischen ausländischen Investoren und der lokalen/regionalen Landwirtschaft müssen offengelegt und geklärt werden. Nur so entsteht ein Umfeld, in dem langfristige Direktinvestitionen erfolgreich sein können. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn nicht nur Nischeninstitute sondern auch die „global players“ unter den Banken und Finanzinstituten sich dieser Verantwortung stellen würden.

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