Notfallseelsorge

Unser Angebot

Die Notfallseelsorge wendet sich an alle Menschen und deren Angehörige in Krankheitssituationen, unabhängig von ihrer Lebens- & Glaubensorientierung. Außerdem begleitet sie auch das Klinikpersonal in Krisensituationen durch Gespräche oder rituelle Handlungen. Sie bewegt sich in einem interkulturellen und multireligiösen Raum, unterliegt der Schweigepflicht und ist nicht den Kliniken zur Auskunft verpflichtet! In den Kliniken gibt es in der Regel eine ökumenische Kooperation, vor allem mit der katholischen Kirche.

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Evangelische Kirche in Hessen und Nassau

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Hilfe in der Schule

Offenes Ohr für: „Hilfe, meine Freundin ist verliebt“

Heidi Förster

Seit 18 Jahren bietet Gemeindepädagoge Wehrum Schülern seine Hilfe an. Er kann mit den Jugendlichen Klartext reden.

„Können Sie mal kommen? Hilfe, meine Freundin ist verliebt!“ Nach diesem Anruf eilt Stefan Wehrum auf sein Fahrrad und fünf Minuten später steht er am Denkmal im Pausenhof der Immanuel-Kant-Schule in Rüsselsheim. Langsam pirschen sich die Freundinnen an, um sich zu vergewissern: Den Mann gibt’s wirklich, 61 Jahre alt, Schulberater seit 18 Jahren. Montags und dienstags ist er in der 2. großen Pause im Lehrerzimmer präsent und kommt immer dann zum Einsatz, wenn es heißt „So kann es nicht weitergehen, wie denn sonst? Wo liegt der Veränderungswunsch?“

Er hilft, wenn zum Beispiel in der 5. Klasse der Übergang von der Grundschule zum Gymnasium schwer fällt oder in der 7. und 8. Klasse Null Bock auf Leistung Eltern verzweifeln lässt. Sein Büro hat der Gemeindepädagoge seit 30 Jahren im Gemeindehaus der Evangelischen Bonhoeffergemeinde in Rüsselsheim-Haßloch. „Bitte nicht stören“ hängt an der Tür, wenn er sein „Gesprächsangebot und Beratung in Krisen für Schüler und Schülerinnen, Lehrer und Lehrerinnen und Eltern“ in die Tat umsetzt.

Beratung mit Familienbrett

An diesem Vormittag kommt das Familienbrett auf den Tisch mit vielen kleinen und großen Holzfiguren. Schnell wird anhand der vom Jugendlichen platzierten Klötzchen klar, wo der Konflikt liegt. Der Schüler, der mit seiner Mutter bei Stefan Wehrum um Hilfe sucht, setzt sein Ich-Klötzchen neben seine Mutter. Der Vater steht abseits. Eine Gruppe kleiner Klötzchen, die seine Mitschüler symbolisieren, stehen weit weg in einer Gruppe zusammen. Jetzt erzählt der 11-Jährige, dass er von seinen Mitschülern beleidigt werde, sich gemobbt fühle und keinen Anschluss finde.

„Was brauchst du, damit du dich in der Gruppe wohlfühlen kannst, was brauchst du von deiner Mutter, vom Vater?“ fragt Stefan Wehrum mit wachem, freundlichem Blick. Er hilft Lösungen zu finden. Etwa auf Fragen, wie: „Was kannst Du tun, um Dich selbst zu schützen, damit Du schließlich zu dem kommst, weshalb Du auf der Schule bist, zum Lernen?“ Er erklärt: „Mein Job ist es, zu verdeutlichen, Rüstzeug zu geben, um in der Schulumgebung klar zu kommen.“

Eltern und Mitschüler ins Bild rücken

Das Familienbrett macht noch vieles mehr klar: Die Nähe von Mutter und Sohn. Nicht selten, so Wehrum, würden Kinder mit Erwartungen ihrer Eltern überfrachtet. Zuhause werde oft vieles erlaubt. „Nachvollziehbar“, so Wehrum, „dass dieses Kind seine Freiräume auch auf die Schule übertragen will. Aber das Schulsystem funktioniert so nicht - und kann bei 30 Kindern in einer Klasse so nicht funktionieren.“

Schulberater redet Klartext

Der evangelische Gemeindepädagoge ist weder Teil des Schul- noch des Familiensystems. Auch deshalb könne er Klartext reden. „Was passiert, wenn Du dein Verhalten beibehältst? - Unendlich viel Stress zuhause und die Rückmeldung: Ich tauge nichts,  kriege schlechte Noten… hätte ich doch gelernt.“ Wehrum hat in seiner Beratungsausbildung gelernt, in Krisen wie im Einzelfall die Familie als „System“  mit zu bedenken. In einem System - wie Familie  - wird wechselseitig Verhalten beeinflusst und ist wie in einem nie endenden Kreis aufeinander bezogen.

An der Sitzhaltung und am Ausdruck merkt Wehrum bei seinem Gegenüber sofort, ob das, was besprochen wird,  ein „aha“, also eine Entlastung auslöst, oder nicht. Wehrum hat mehr als 30 Jahre Berufserfahrung, ist Familienvater und weiß, dass Kinder nicht immer leistungsbereit sind.

SO kann’s NICHT weitergehen! Aber: WIE DENN sonst?

Daher weiß Wehrum auch aus eigener Erfahrung, dass es darum geht, „den Schalter im Kopf umzulegen“. Wenn der Schüler oder die Schülerin nicht in den Schulmodus umschalte, komme er oder sie mit dem System nicht klar. Die Abwärtstreppe sei vorgezeichnet:  Leistungsverweigerung, Selbstvorwürfe, Leistungsversagen, Klassenziel nicht erreichen.

„Es geht nicht darum, dass Jugendliche allein gelassen werden, man hat Lehrer, Förderpläne, alle möglichen Unterstützungssysteme. Die allein können aber nicht greifen, solange die Bereitschaft der Schülerin oder des Schülers nicht besteht, sich auf das Schulsystem einzulassen.“

Die Abwärtstreppe, die Wehrum mit Blick mit Hilfe vom Familienbrett veranschaulicht, wirkt auf den Schüler wie ein krasser Blick in die Zukunft. Jetzt kommt die Frage „WIE DENN sonst?“ ins Spiel.  Stefan Wehrum zeigt gedanklich eine  „Aufwärtstreppe“ auf und benennt  Vorteile, wenn sein Gegenüber sein Verhalten ändere:  „Wenn Du Dich einlässt, gibt es weniger Stress zuhause, mehr Vergünstigungen, Anerkennung fürs eigene Ego und eine Würdigung Deiner Leistungsbereitschaft.“

Eltern nicht ins Leere laufen lassen

Und weil im „System Familie“ die Haltung der Eltern nicht unerheblich ist, bekommt auch die Mutter bei diesem Gespräch eine „Aufwärtstreppe“ aufgezeigt: „Viel Reden ist zerreden. Unterstützen Sie, fordern Sie ihr Kind: Volkabeln lernen, Hausaufgaben machen, Hausaufgabenheft zeigen lassen… Unterstützen Sie Ihren Sohn gegebenenfalls, aber lassen Sie sich nicht um den Finger wickeln.“

„Aber was, wenn das Fordern ins Leere läuft?“  will die Mutter wissen. Wehrum ist weder Lehrer noch Schulseelsorger. Er ist systemischer Berater und Gemeindepädagoge der Evangelischen Bonhoeffer-Gemeinde  und des Evangelischen Dekanats  Groß-Gerau-Rüsselsheim. Als kirchlicher Mitarbeiter ist er nicht Teil des „Systems Schule“, sondern kommt mit seinem Angebot der Schulberatung von außen. Darin sieht der erfahrene Pädagoge Vorteile.

Seine Beratung führe in den meisten Fällen „zum Erfolg bei der Umsetzung“. Das macht ihn aber nicht überheblich. Stefan Wehrum ist ein verschmitzter, uriger Typ. Seine Worte kommen an, messerscharf und rhetorisch auf dem Punkt. Mit sympathisch-hessischer Pointe gelingt es ihm nicht selten, den Schalter in den Köpfen umzulegen. Konsequenz heißt sein Zauberwort, als er der Mutter antwortet: „Zwei Mal fragen: Ich will, dass Du das machst, dann Rückzug: Dann mach halt allein. Konsequenz: Schule kennt keine Moral, wenn die Leistung nicht stimmt.“ Eltern, so Wehrum, „können darauf hoffen, dass der Leistungsdruck so groß ist, dass Schüler in die Puschen kommen, sich selbst nicht mehr zu bestrafen sondern sich zu belohnen.“

Schule als Ort der Dramen

Die potentielle „Gemeinde“ des Rüsselsheimer Pädagogen ist groß. Lehrer und Schüler gehören dazu: Wehrum zählt in der Immanuel-Kant-Schule und  in der Max-Planck Schule, in der er ebenfalls seit elf Jahren lösungsorientierte Schulberatung anbietet, jeweils 1500 Personen. Mit jeweils zwei Elternteilen dazu, komme er auf  rund 8600 „Gemeindemitglieder“.  Zusätzlich berät Wehrum in der Borngrabenschule mit 120 Schüler/-innen, 240 Vätern und Müttern sowie 40 Lehrer/-innen.  Der Beratungsbedarf steige, so Wehrum, denn „Schule ist immer mehr Lebensort und damit Ort der Dramen“.  Daher sei es fatal, so Pfarrerin Heike Hiess anschließend im Gespräch, „dass sich Kirche aus diesem Sektor mit Beratung und Präsenz zurückzieht“.

Die Schulseelsorge wurde 1987 von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) begründet. In 30 Jahren wurde der Bereich Schulseelsorge mit inzwischen jährlich 1,2 Millionen Euro (2016) ausgebaut.  126 Personen sind heute mit Schulseelsorge beauftragt.  Im Vergleich zum Jahr  2004 – damals hatten 52 Personen schulseelsorgerliche Zusatzaufträge – ist viel passiert.
 „Schule ist einer der größten Lebensräume und dort nehmen Konflikte zu“, weiß die Pfarrerin und stellvertretende Dekanin Hiess. So bekomme sie oft Rückmeldung, „wie gut es die Rüsselsheimer finden, dass dieses Angebot der Schulberatung von Kirche gemacht wird.“

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